Logo

The Data Daily

Straßenverzeichnis: Straßenbilder – Mozart, Marx und ein Diktator

Straßenverzeichnis: Straßenbilder – Mozart, Marx und ein Diktator

Straßennamen erzählen vom Leben. Sie sagen etwas darüber, wie die Menschen an einem Ort arbeiten und wohnen, woran sie glauben und worauf sie hoffen. Mehr als eine Million Straßen und Plätze gibt es in Deutschland. ZEIT ONLINE hat ihre rund 450.000 unterschiedlichen Namen in einer Datenbank zusammengefasst. Manche Straßennamen gibt es hundertfach, einige nur ein einziges Mal. Keiner dieser Namen ist zufällig gewählt. An jedem einzelnen lässt sich ablesen, wie sich das Leben und Denken der Menschen über die Jahrhunderte verändert hat. Und woran sie sich erinnern wollen – und woran nicht.

Woran erinnert sich Deutschland? Zum Beispiel an den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. Vor rund einem Jahr starben dort elf Menschen auf dem Platz an der Gedächtniskirche. Jeder kennt dessen Namen: Breitscheidplatz. Warum aber heißt dieser Ort so?

In Straßennamen drückt sich die Geisteshaltung einer Zeit aus. Das gilt auch heute. Doch die Namen sprechen nicht nur von den Erfolgen ihrer jeweiligen Epoche. Sie spiegeln auch die Defizite der Gesellschaft wider. Vor knapp 70 Jahren schrieb das Grundgesetz fest: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Wer jedoch heute in Hamburg auf den Stadtplan blickt, erkennt keine Gleichberechtigung: In der Hansestadt sind 2.500 Straßen nach Männern benannt. Nur knapp 400 Straßen tragen den Namen einer Frau.

In der DDR schlug sich die sozialistische Doktrin in den Straßennamen nieder: Straße der Bodenreform. Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Straße der Solidarität. Dazu kam sozialistischer Personenkult: Marx, Engels, Liebknecht, Thälmann. Nach Wende und Wiedervereinigung verschwanden viele solcher Schilder. Doch in einigen Orten überlebten alte Ideale. So gibt es noch heute eine Straße der Thälmannpioniere. Selbst der stalinistische Diktator der Tschechoslowakei, Klement Gottwald, wird im brandenburgischen Wiesenau noch geehrt.

Jede dieser Epochen hat ihre Spuren hinterlassen. Selbst wenn später jeweils Namen in großem Stil getilgt wurden, blieben Reste zurück. So finden sich zwar im gesamtdeutschen Straßenbild keine führenden Figuren der Nazizeit mehr, abgenommen wurden alle Schilder der Adolf-Hitler-Straßen und Hermann-Göring-Plätze. Doch es existieren vor allem in Westdeutschland noch immer Namen und Begriffe, die von den Nazis vergeben wurden und für deren Ideologie stehen.

Images Powered by Shutterstock